Sonntag, 30. Dezember 2012

Betr. Adrian (II)

Landgericht Darmstadt: 14-Jähriger ein "Objekt staatlichen Handelns"

Das Land Hessen hat vor dem Landgericht in Darmstadt gegen einen 14-Jährigen aus Groß-Gerau verloren. Die Richter warfen einer Sachbearbeiterin des zuständigen Schulamtes gesetzeswidriges Verhalten, die Verfolgung gesetzesfremder Zwecke und Willkür vor. Auch die Leiterin der Schule, die der Junge besucht hatte, habe nur ein Ziel verfolgt: Druck auf die Eltern ausüben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 

Zum ersten Mal über diesen Fall berichtet habe ich am 17. Dezember 2008. Damals durfte Adrian nicht zur Regel-Schule. Der Vorspann zu meinem damaligen Gespräch mit dem Jungen: "Adrian ist vertieft, der Zehnjährige macht Hausaufgaben. Vor ihm auf dem Tisch liegen Arbeitsblätter, ein Deutsch- und ein Mathe-Buch für die vierte Klasse. Zur Schule darf der Junge nicht. Die Schulpflicht ruht. Das soll auch so bleiben, hat das Staatliche Schulamt für den Landkreis Groß-Gerau und den Main-Taunus-Kreis der Anwältin der Familie am 23. Juli 2008 mitgeteilt. Adrian soll eine Heimschule besuchen. Das will er nicht. Das wollen auch seine Mutter (39) und sein Vater (40) nicht. Die Schule in Groß-Gerau, die der Zehnjährige zuletzt besucht hat, reagiert nicht. Das hessische Kultusministerium verweist auf die Gesetze."

Das Interview löste eine Kommentarflut aus, die zuständige Sachbearbeiterin des Schulamtes beschwerte sich beim Verwaltungsgericht in Darmstadt, der Bürgermeister von Groß-Gerau verfolgte den Fall, blieb aber erfolglos. Vor dem Verwaltungsgericht in Darmstadt kam es am 24. November 2009 zu einem Vergleich. Dazu hieß es in einer Pressemitteilung: "Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Darmstadt hat am 24.11.2009 die Klage eines Schülers gegen das Land Hessen, vertreten durch das Staatliche Schulamt für den Landkreis Groß-Gerau und den Main-Taunus-Kreis, verhandelt. Dabei ging es um die Frage, ob das Staatliche Schulamt zu Recht das Ruhen der Schulpflicht angeordnet hat. Das Staatliche Schulamt hatte aufgrund eines sonderpädagogischem Gutachtens vom Dezember 2007 bei dem Kläger sonderpädagogischem Förderbedarf im Sinne der Schule für Erziehungshilfe festgestellt. Er besuchte seit Dezember 2007 keine Staatliche Schule mehr, erhielt aber bis zu den Sommerferien 2008 Hausunterricht. Im April 2009 und September 2009 ordnete das Staatliche Schulamt das Ruhen der Schulpflicht an.

Im Hinblick darauf, dass nach Ablauf von zwei Jahren nach den gesetzlichen Bestimmungen ein festgestellter sonderpädagogischer Förderbedarf zu überprüfen ist und im Interesse des Klägers und seiner Eltern eine Regelbeschulung versucht werden sollte, schlug das Gericht eine einvernehmliche Regelung vor und das Verfahren wurde durch gerichtlichen Vergleich beendet. Das Gericht ließ dabei die Frage ausdrücklich offen, ob das Ruhen der Schulpflicht zu Recht angeordnet worden war oder nicht. Um dem Kläger einen Neuanfang zu ermöglichen, erklärte sich das Staatliche Schulamt u. a. damit einverstanden, dass der Kläger die Regelschule mit Unterstützung eines Integrationshelfers besuchen darf und hob die Anordnung des Ruhens der Schulpflicht auf.

Das Verfahren trägt das Aktenzeichen 7 K 1410/09."

Drei Jahre später klagte Adrian vor dem Landgericht in Darmstadt. Nach Auffassung der Richter wurde der Junge zu einem "Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt". Die Sachbearbeiterin des Schulamtes habe "die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Eltern" gegen den Jungen wenden wollen. Das gehe aus einer Telefonnotiz vom 7. September 2007 hervor. Damals hätten die Sachbearbeiterin und die Leiterin der Schule, die Adrian besucht hatte, vereinbart, dass die Eltern gefügig gemacht werden sollten. Dieser Versuch ziehe sich wie "ein roter Faden" durch alle Bescheide. Nach dem Sofortvollzug des Ruhens der Schulpflicht am 17. Oktober 2007 habe es kein Verfahren zur Überprüfung der Schulfähigkeit von Adrian gegeben. Damit habe das Schulamt eineinhalb Jahre gewartet. Bis November 2009 habe es stets nur ein Ziel gegeben: "die Ausübung von Druck".

Ein Gutachter soll nun klären, wie sehr der inzwischen 14-Jährige unter dem Verhalten des Schulamtes gelitten hat.

Anmerkung: Das Land Hessen hat Berufung eingelegt.

Betr. Adrian (III): Wer hat diesen Kommentar geschrieben?