Mittwoch, 4. März 2009

Runder Tisch

26. November 2008
Runder Tisch als "kleine Wahrheitskommission"

„Warum hat man mir das angetan? Warum wurde ich 17 Jahre lang eingesperrt?“ Diese Fragen kommen nur schwer über die Lippen des ehemaligen Heimkindes Richard Suckert. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat heute die Bildung eines Runden Tisches beschlossen, den Vorsitz übernimmt die ehemalige Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer, dafür hat sie Lob vom Bundestagspräsidenten Norbert Lammert bekommen: „Das ist eine schwierige Aufgabe.“

Bei einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses berichteten ehemalige Heimkinder über sexullen Missbrauch, Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen, sie sprachen über ein „dunkles Kapitel deutscher Sozialgeschichte“. Auch die Verweigerung von Bildung sei eine Menschenrechtsverletzung.

Die hat auch Wolfgang Focke in einem nordrhein-westfälischen Kinderheim erfahren: „Das Lesen habe ich mir selbst beigebracht. Schreiben kann ich immer noch nicht.“ Man habe seine Jugend „kaputt gemacht und seine Seele zerstückelt“.

Seine Ausführungen liest er von einem Blatt Papier ab, vom Petitionsausschuss fordert er die Bildung eines Fonds, in den alle betroffenen Träger und Einrichtungen, Kirchen, Firmen, die von Heimkinderarbeit profitiert haben, und der Staat einzahlen sollten. Jedem ehemaligen Heimkind stehe Schmerzensgeld und eine Zuzahlung zur Aufstockung geringer Renten zu.

Über zwei Jahre hat sich der Petitionsausschuss mit dem Thema „schwarze Pädagogik“ in Kinderheimen während der 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre beschäftigt, der Bundestagspräsident nennt es „ärgerlich“, dass es so lange gedauert habe, Antje Vollmer stuft den Runden Tisch als „kleine Wahrheitskommission“ ein, die nun vier Schritte gehen müsse: 1. Den Betroffenen genau zuhören, 2. Die damalige Heimerziehung einordnen und vergleichen, 3. Mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten und 4. Lösungsvorschläge erarbeiten.

Für Richard Suckert steht fest: "Wir brauchen nicht zu lügen. Wir sagen die Wahrheit."

27. November 2008
Offener Brief

Sehr geehrte Frau Dr. Vollmer,

der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat gestern nach über zweijähriger Beschäftigung mit dem Thema die Bildung eines Runden Tisches beschlossen, Sie sind die Schirmherrin und haben für die künftige Arbeit vier Schritte genannt. Der erste sei, den ehemaligen Heimkindern genau zuzuhören.

Das mache ich als Redakteur seit über einem Jahr. Damals flatterte mir ein Strafantrag der Aachener Staatsanwaltschaft gegen elf ehemalige Heimkinder auf den Schreibtisch. Bezichtigt wurden sie des versuchten Betruges. Dahinter steckte ein katholischer Orden, der bis heute nicht einmal zu einer Entschuldigung bei ehemaligen Heimkindern bereit ist. Mit diesem Strafantrag erlitt die Staatsanwaltschaft eine Bauchlandung.

Die dritte große Strafkammer des Landgerichtes Aachen unter Vorsitz von Richter Wilke prüfte jeden Einzelfall und kam zu dem Ergebnis, dass manche Schilderungen ehemaliger Heimkinder übertrieben sein mögen, aber es sei so viel Zeit vergangen, dass eine stichhaltige Überprüfung nicht mehr möglich sei. Vom Vorwurf des versuchten Betruges wurden die elf Heimkinder befreit. Die Kosten des Verfahrens trug der Steuerzahler.

Als ich mich mit diesem Fall beschäftigte, machte ich zum ersten Mal die Erfahrung, dass meine Fragen wohl in irgendeinem Papierkorb verschwanden. Das sollte so bleiben. Ende 2007 bekam ich eine 31-seitige Petition an das Europäische Parlament. Dabei ging es um ein Mädchen, das seit über vier Jahren in einem Kinderheim lebt. Die Eltern aus Mönchengladbach sind seither verzweifelt bemüht, ihr Kind wieder zu bekommen.

Der Oberbürgermeister von Mönchengladbach verweigerte ein Gespräch, die Einrichtung, in der dieses Mädchen lebt, schickte mich von Pontius zu Pilatus, die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär versprach zwar Hilfe, aber dann reagierte sie nicht mehr. Bundesfamilienministerin Dr. Ursula von der Leyen zollte mir in einem persönlichen Brief Respekt, als ich ihr weitere Informationen zukommen lassen wollte, bekam ich meine Post ungelesen zurück. Als ich deswegen nachhakte, wurde eine Mauer des Schweigens errichtet.

Diese Eltern aus Mönchengladbach haben inzwischen vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf obsiegt, das ist fast schon wieder ein halbes Jahr her. Das Mädchen ist immer noch in diesem Heim…

Anfang des Monats war ich für ein paar Tage in Holzen bei Holzminden. Dort gab es von 1955 bis 1972 ein Kinderheim, in dem so entsetzliche Dinge geschehen sein müssen, dass sie kaum noch zu fassen sind. Ich gewann das Vertrauen ehemaliger Heimkinder, ein Kollegen zog mit mir an einem Strang. Dieser Satz eines ehemaligen Heimkindes war typisch: „Ich will kein Geld von der Kirche. Was die mir angetan haben, können die nie wieder gut machen.“

Es war an einem Sonntag in diesem Oktober, als mich ein ehemaliges Heimkind anrief. Dieser Anrufer ist inzwischen 68 Jahre alt. Doch er leidet immer noch unter Schlafstörungen. Wenn er die Augen zumacht, hat er mir berichtet, sieht er immer noch die Erzieherin vor sich, die ihn damals gequält hat.

Dazwischen gibt es Sonntagsreden. In Niedersachsen existiert mittlerweile eine Studie über Kinderheime zur damaligen Zeit. Sofort bin ich auf einen konkreten Fall angesprochen worden. Als ich deshalb an die Landesbischöfin Dr. Käßmann schrieb, geschah, was immer geschehen ist: Es gab keine Antwort.

Geantwortet hat mir dagegen die Caritas. Das Berliner Büro versicherte mir im Juni 2008, dass jede meiner Fragen beantwortet werde. Das muss ich wohl zu wörtlich genommen haben…

Sehr geehrte Frau Vollmer, da der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages das Thema öffentlich gemacht hat, mache ich auch diesen Brief öffentlich. Vielleicht werfen Sie einmal einen Blick auf meine Seiten http://kinderinheimen.blogspot.com. Dort finden Sie Informationen in Hülle und Fülle. Außerdem gibt es von mir die Broschüre „Böse Kinder kommen in böse Kliniken“, erschienen bei http://stores.lulu.com/hwilmers.

Ich bin übrigens nicht in einem Heim aufgewachsen, sondern in einer großen Familie…

4. Dezember 2008
Presseerklärung der Grünen

Zufrieden zeigen sich Bündnis 90/Die Grünen über den heutigen Beschluss des Deutschen Bundestages, in dem das Unrecht und Leid, das Kindern und Jugendlichen in Heimen zwischen 1945 und 1970 widerfahren ist, anerkennt und zutiefst bedauert wird.

"Damit", so die sozialpolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Kordula Schulz-Asche, "ist mit dem Runden Tisch ein großer Schritt getan, um den Heimkindern späte Gerechtigkeit zu Teil werden zu lassen. Die Anerkennung dieses Leids und Unrechts wird ein bedeutsames Signal an die Opfer, in die Gesellschaft hinein und an die Träger und ehemaligen Träger der Heime sein."

In einer Petition ehemaliger Heimkinder an den Bundestagspräsidenten war über seelische und körperliche Misshandlungen berichtet worden. Sie beschrieben ausgeklügelte Strafsysteme und berichteten von lückenloser Überwachung rund um die Uhr. Die Schulbildung wurde zugunsten von Arbeitseinsätzen vernachlässigt und die geleistete Arbeit gar nicht oder nur in geringem Umfang entlohnt. Die Einweisung in die Heime erfolgte häufig unter Angabe von Gründen wie Arbeitsbummelei, sittliche Verwahrlosung oder Herumtreiberei aufgrund von Denunziation. Die historische Aufarbeitung ließ lange auf sich warten und längst noch nicht abgeschlossen.

"Hessen hat bei der Aufarbeitung dieses Leids und Unrechts eine wichtige Vorreiterrolle gespielt. Der Landeswohlfahrtsverband hat sich bereits am 5. April 2006 bei den Heimkindern entschuldigt und damit bundesweit Aufmerksamkeit erzielt. Diese Entschuldigung hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich auch andere Heimträger intensiv mit der eigenen dunklen Geschichte auseinandergesetzt haben", stellt Kordula Schulz-Asche fest.

7. Dezember 2008
Brutale Methoden als System

Ein runder Tisch soll die Misshandlungen an Heimkindern zwischen 1949 und 1975 aufarbeiten. Die brutalen Methoden hatten System, berichten Erzieher

Welt am Sonntag, 7. Dezember 2008

15. Dezember 2008
Die Leiden der Kinder von Glückstadt

Schläge, Missbrauch, Sadismus – was bis in die 70er Jahre Alltag vieler Heimkinder war, soll jetzt bundesweit aufgearbeitet werden – so hat es der Bundestag Anfang des Monats beschlossen. In Schleswig-Holstein ist man schon ein Stück weiter. Den auf Bundesebene noch einzuberufenden runden Tisch unter der Regie des Jugend- und Familienministeriums gibt es dort schon.

Tagesspiegel, 15. Dezember 2008

Dr. Antje Volmer
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages a. D.
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Herrn
Heinz-Peter Tjaden
Krumme Straße 1
26384 Wilhelmshaven

15. Dezember 2008

Sehr geehrter Herr Tjaden,

Hiermit möchte ich Ihnen umgehend mitteilen, dass ich Ihre Zuschrift gelesen habe und Sie bitten, alles was Sie für die Arbeit des Ausschusses aus Ihrnr eigenen Erfahrungen wichtig finden, mir zuzusenden.

Sicher würde es meine Möglichkeiten bei Weitem übersteigen, für jeden Einzelfall eine gute Lösung zu finden. Aber den Betroffenen mit offenen Ohren ausführlich zuzuhören, ist der erste Schritt, dem wir uns verpflichtet haben. Die Arbeit des Runden Tisches wird beginnen, sobald alle Institutionen, die daran teilnehmen werden, ihre Vertreter benannt haben. Ich hoffe, dass das recht früh im Jahre 2009 möglich sein wird und danke Ihnen für Ihr Interesse.

16. Dezember 2008
Runder Tisch ab Januar 2009

Mit einem Runden Tisch unter der Führung der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer will der Petitionsausschuss das zwischen 1945 und 1970 erlittene Leid von über 200 000 Heimkindern aufklären. Der Runde Tisch zur Aufarbeitung der Heimerziehung in der Bundesrepublik soll voraussichtlich beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge angesiedelt werden. Das sagte der CDU-Sozialpolitiker Karl Schiewerling am Montag in Berlin. Er gehe davon aus, dass der Runde Tisch im Januar eingesetzt werde und dann seine Arbeit aufnehme.

Die Welt, 16. Dezember 2008

Berichterstattung wird hier fortgesetzt

Wann werden sie Thema?

Der Runde Tisch beschäftigt sich mit dem Schicksal von Heimkindern in den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren. Doch auch später hat es Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch gegeben.

Erstes Beispiel:

Auch ich wurde im Kinderheim körperlich misshandelt und im Internat sexuell misshandelt. Auch ich bin ein Opfer, das immer noch damit zu kämpfen hat, was ihm angetan wurde.

Mehr hier

Die Geschichte von Schloss und Internat